Totenbrauchtum

Zum Totenbrauchtum in der St. Antoni-Bruderschaft
von Hans-Peter Boer (C)

„Auch die Todten leben, Brüder
Ruht im Staub’ auch ihr Gebein;
Sie sind unsres Bundes Glieder,
Leben mit uns im Verein
Gedenket der Todten; sie gingen
Den Weg den wir alle einst geh’n
Sie flehen für uns, und sie singen
Am Throne, bis wir sie einst sehn.“

Diese fünfte Strophe des Gildeliedes, das die Antonibrüder nachweislich am Tage des Schützenfestes im Gasthause zu singen pflegten, ist außerordentlich kennzeichnend für das Lebens- und Selbstverständnis dieser so stark kirchlich und christlich geprägten Bruderschaft. Es zeigt uns nämlich sehrdeutlich, dass ein anderes Bild des Todes vorherrschte, denn man gedachte ja sogar beim fröhlichen Umtrunk im gasthaus ihrer. Die Verstorbenen sind noch immer „unseres Bundes Glieder, leben mit uns im Verein“.

Wie der münsterische Bistumsarchivar Dr. Peter Löffler in seinen umfangreichen „Studien zum Totenbrauchtum“ feststellt, „hat die Totenpflege ihre Wurzeln im glauben an das Fortleben des Verstorbenen. Die Überlebenden haben aber nun nicht den unheilvollen Fähigkeiten des Toten zu begegnen, sondern sie üben liebevolle Hilfe an dem Verstorbenen und seiner Seele im Bewusstsein um das Los dessen, der zu ihrer Gemeinschaft zählte“. Überdies sind die Brauchtumsformen um den Tod und das Begräbnis sehr tief und umfassend in festen sozialen Ordnungen und Gemeinschaften mit überaus starker Jenseitsbezogenheit verankert. 

In der Reihe der sieben Werke der Barmherzigkeit wird als letztes das Begräbnis der Toten genannt. Dies ist schon in der altchristlichen Tradition verbürgt und bezieht sich für das Alte Testament auf das Buch Tobias:
„Mein Brot gab ich den Hungernden und Kleider den Nackten, und sah ich eine Toten aus meinem Stamm, der hinter die Stadtmauer von Ninive geworfen war, begrub ich ihn“ (Tob. 1,17). Die starke Betonung des Todes und seiner Überwindung durch die Auferstehung Christi hat dieses Motiv im christlichen Abendland nur noch mehr verstärkt. Wenn der Mensch nach dem Gesetz des Todes seine Leib zurück lassen muss, so ist es Bruderpflicht, den Leichnam vor der Unbill der Elemente, vor wilden Tieren und bösen Menschen zu bergen und liebvoll zu bestatten. Dies gilt auch und insbesondere für die Situation, da die Ausübung des Werkes der Barmherzigkeit mit Gefahr für Leib und Leben auch der Hinterlassenen verbunden ist, also gerade für die Seuchenzeiten. 

Die frühe Geschichte der St. Antoni-Bruderschaft verweist auf die Pestjahre 1609, 1923, 1636 und 1666. Allein 1623 soll die Pest im Kirchspiel 1200 Menschen hinweggerafft haben, im Jahre 1636 - 900 Opfer gefordert haben. Da bei den Zahlenangaben nur wenig Zweifel angebracht sind, ist das Ausmaß dieser Katastrophen nicht zu unterschätzen. Innerhalb weniger Wochen starben etwa 30 – 40% der vorhandenen Bevölkerung, „dass die Leichnamen nicht mehr zu Grabe gebracht werden könnten“. Die Hinwendung zu Gott und seinen Heiligen, insbesondere aber zum Seuchenbeschützer Antonius, ist selbstverständlich, so wie auch das Bemühen, über alle Gefahr hinweg das ehrliche Begräbnis des Mitmenschen zu garantieren. Noch die Satzung der Antoni-Bruderschaft von 1753 spiegelt diese Sorge wieder:

„9 no. Jeder Bruder soll unter Strafe eines Scheffels Gerste zur Verbesserung der Gilde unter Verantwortung vor Gott festgehalten seyn, die aus der Bruderschaft Sterbenden jeder Zeit, auch bei ansteckenden Krankheiten (wovor uns Gott bewahren wolle) zur Kirche und zum Begräbnisse zu tragen; wozu ins Besondere die jüngsten schuldig und verpflichtet seyn sollen; in deren Abwesenheit aber sollen die ältesten Brüder das Werk der Barmherzigkeit auszuüben verbunden seyn. Dieses alle soll auch denjenigen, welche in die Bruderschaft wünschen aufgenommen zu werden, vorgelesen werden; wonach sie sich richten müssen, mit der Bedeutung: dass dies ein Fundament der Bruderschaft sey; es sei denn, dass einer ehrenhaft verhindert sei, und darüber vom Gildemeister gebeten habe; wozu alle schuldig und gehalten seyn wollen, wenn dazu auf Befehl des ältesten Gildemeisters vom jüngsten Schäffer aufgeboten wird.“

Deutlich unterstreichen diese Sätze, dass das würdige Gedenken der toten „ein Fundament der Bruderschaft“ gewesen ist. Die Sorge um das ehrliche Begräbnis der Mitbrüder auch in den Pestzeiten wurde noch ergänzt durch den Aufruf zu gegenseitiger Unterstützung in allem Übel, besonders in Krieg, Brand und Hungersnot. Nun ist grundsätzlich zu bedenken, dass auch die Haltung zum Ereignis des Todes eine andere war als heute. Der Tod war ein Geschehen von zwar geheimnisvollem und numinosem Charakter, er ereilte aber die Menschen mitten in dem Leben, in ihren Häusern und Familien, fern aller Technik und hochqualifizierter Medizin. Uns heute gering erscheinende Krankheiten und Verletzungen hatten oft schlimmste Folgen. Gro0 war die Sterblichkeit der Kinder, oft kamen nicht 50% eines Geburtsjahrgangs in das Erwachsenenalter. Die Sorge z. B. um Witwen und Waisen hatte ganz andere Dimensionen als heute. Der verstorbene Dorfgenosse bekam aber seinen Platz, lag doch der Kirchhof mitten im Dorf, im Zentrum der Gemeinde. Waren die Familiengruften überbelegt, wurden die Gebeine verstorbener Vorfahren dem Boden entnommen und ins Beinhaus (heutige Nordsakristei von St. Martin) gebracht, wo man sie zum Gedenken niederlegte. Das Wissen um die Endlichkeit des menschlichen Lebens war nicht so stark verdrängt wie bei den Lebenden des 20. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund muss man das Totembrauchtum der klassischen Beerdigungsbruderschaften einordnen, die in den strengen sozialen Ordnungen der damaligen Gesellschaft Exklusivität und Ansehen für all ihre Mitgliederfamilien sicherten. So begleitete die Bruderschaft die einzelnen Trauerfamilien und ihre Mitglieder in den schweren Tagen der Trennung nach einem genau vorgeschriebenen Zeremoniell. Dieses ist teils genau überliefert, teils aus den Quellen erschließbar. 

Die Todansage

Unmittelbare Teilnahme an den Höhepunkten im Lebenslauf der einzelnen Mitmenschen kennzeichnet die kleinen Gemeinschaften in den Dörfern und auf dem platten Lande in jener Zeit. Daher ist es besondere Ehrenpflicht, umgehend nach dem Tode eines Mitmenschen die Gemeinschaft des Dorfes oder der Bruderschaft über dieses Ereignis zu informieren und insbesondere die Bruderschaft zur Leichenfolge auszufordern. Diese Todansage hatte in den Nachbarschaften meist der „Notnachbar“ (Naigste Naober/1. Nachbar) zu übernehmen, in der Bruderschaft zu Nottuln allerdings gab es hierfür ein eigenes Amt. Wie oben zitiert, hatte der jüngste Scheffer auf Befehl des ältesten Gildemeisterns die Bruderschaft „aufzubieten“. Wir dürfen annehmen, dass Dorf und Bauernschaften durch das Totenläuten über einen Todesfall informiert waren, in der engeren Wohnlage des Dorfes sprach sich das Ereignis auch schnell herum. Aber erst das Erscheinen des Leichenbitters bedeutete letztendlich auch die Aufforderung zum „Nachfolgen“, wozu innerhalb der St. Antoni - Bruderschaft „alle schuldig und gehalten seyn wollen“.

Das mit sehr viel Arbeit belastet Amt des jüngsten Scheffers ist im Punkt 12 der Statuten von 1753 genauer beschrieben: „Wenn etwas in der Gilde oder in der Bruderschaft zu bestellen vorfallen sollte, so sollen und wollen wir solches dem ältesten Gildemeister melden. Dieser soll dann dem jüngsten Schäffer befehlen, dass die Gildebrüder sämtlich aufgeboten werden. Auch soll der jüngste alles tun, was das ganze Jahr vorfällt. In dessen Abwesenheit aber der älteste, auch die Verstorbenen (damit die nötigen Sachen zum Totenkörper kommen) mit zu Begräbnis zu begleiten und absolute zu bestatten helfen.“

Aus Vergleichen mit anderen Gilden und Bruderschaften ist zu schließen, dass der Leichenbitter der Reihe nach die Häuser der Mitglieder aufsuchte und mit formelhaften Wendungen die Todesnachricht und Aufforderung zur Leichenfolge übermittelte. Noch für das 19. Jahrhundert ist belegt, dass dies ein Amt der Scheffer geblieben ist. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist dann – wohl im Gefolge einer Neuformiertung des Vorstandes – ein Bruderschaftsgote nachweisbar. 1912 beschließt der Vorstand der St. Antoni – Bruderschaft: „Dem boten Stadtmann wurde sein Botenlohn von 60 auf 65 Mark erhört.“ Zuletzt hören wir vom Bruderschaftsboten im Jahre 1920, als man ihm im Zeichen der heraufziehenden Inflation den Botenlohn auf 150 Mark erhöht. Doch in dieser Zeit hatten die in Mode gekommenen gedruckten Totenbriefe die Leichenbitter auf dem Lande mehr und mehr verdrängt.

Unklar ist noch, ob der Bruderschaftsbote bei den jeweiligen Todansagen besondere Kleidung trug. Im Nottulner Privatbesitz hat sich ein nachweislich aus Bruderschafts-besitz stammender schwarzer Seidenmantel erhalten, der gemeinsam mit einem der klassischen Sappeurshüte verpackt war. Da für diesen Mantel keine Verwendung erkennbar ist, mag es sich um die Dienstkleidung des Bruderschaftsboten in Trauerfällen handeln. Das Stück – eine saubere Handarbeit – soll demnächst einer textilkundlichen Untersuchung unterzogen werden. 

Nachdem der Bruderschaftsbote in der modernen und schnelllebigen Zeit verschwunden ist, erfolgt eine gesonderte Ansage zur Leichenfolge für die Antoni – Bruderschaft fast nur noch durch die Kanzelabkündigung in der Pfarrkirche, die aber durch die betroffene Familie initiiert wird. Auch der gelegentlich früher geübte Brauch, in der Lokalzeitung die Bruderschaft seitens der Familie besonders zum Begräbnis zu laden, ist lange außer Übung. Im Gegensatz zur jahrhundertealten Tradition zeigt sich damit, dass der Tod eines Menschen den Charakter des fast „öffentlichen Ereignisses“ verloren hat. Die Gestaltung von Totenfeier und Begräbnis ist längst internste Familiensache, in die seitens größerer Verbände nur noch wenig eingegriffen wird. Auch dies ist eine Folge gesellschaftlichen Wandels auf dem Lande und in den Dörfern.
Das Totengeleit

„Die Folge zum Grabe ist Höhepunkt der Hilfe und Ehrung des Verstorbene durch den Kreis derer, zu denen er in seinem Leben in engster Verbindung stand. Die Folgepflicht ist beinahe eine geheiligte Handlung, eine fast rechtlich – bindende Aufgabe, die von der Genossenschaft ausgeübt wird, und zwar unter Verbindung von religiösen und gemeinschaftsbetonten Motiven, Gilde, Bruderschaft und Nachbarschaft sehen darin ihre „Schuldigkeit“ dem toten gegenüber. Es manifestiert sich hierin aber auch gleichzeitig die elitäre Geschlossenheit der Korporation nach außen für die übrige Bevölkerung vornehmlich in den Städten.“

Die Leichefolge galt gleicher maßen als christlich geprägtes Werk der Barmherzigkeit wie als eine ehrliche tat, wobei mit letzterem das standesgemäße, ehrenvolle und geziemende Begräbnis des einzelnen Genossen umschrieben wird. Der Punkt 9 der Antoni – Statuten von 1753 schreibt sicherlich auch den älteren Zustand fest, wenn er konsequent die komplette Leichenfolge der ganzen Bruderschaft fordert:
„(….) sonst soll er auch den Todtenkörper begleiten; wozu alle schuldig und gehalten seyn wollen, wenn dazu(…) aufgeboten wird.“

Hierbei ist nur entscheidend, dass das auf äußere Form sehr bedachte Zeitalter des Barock einen Zusammenhang bildete zwischen Umfang und Pracht eines Leichengefolges und den sozialen Rang der betroffenen Familie. Ja länger der Leichenzug, desto angesehener die Familie – eine Formel, die noch heute für ländliche Gebiete vielfach gilt. Der geschlossene Aufzug der Bruderschaft mit ihren Vorstehern an der Spitze, dazu die weiteren Ausstattungsmaßnahme im Gefolge, hoben das äußere Bild der düsteren Feier entsprechend. Da zudem das schon an anderer Stelle zitierte Antoniuslied durch Text und Rhythmus die Aufzüge der Bruderschaft bedeutend unterstrich, können wir uns die Wirkung auf die Zeitgenossen vorstellen, die in der vorindustriellen Zeit keiner so großen Reizüberflutung im Sehen und hören unterlagen. Hinzu kamen ja noch eine Reihe von Gewohnheiten und Ausstattungsgegenständen, die den Rahmen der Begräbnisfeiern noch erhöhten. 

Die Tragepflicht

Wie wir schon dem 9. Punkt der Statuten von 1753 entnommen haben, war jeder 
Antoni – Bruder verpflichtet, „die aus der Bruderschaft Sterbenden jeder Zeit, auch bei ansteckenden Krankheiten (wovor uns Gott bewahren wolle) zur Kirche und zum Begräbnis zu tragen“. Wichtig ist hier das Verbum „trage“, denn es erinnert daran, dass wohl in der gesamten Neuzeit die Särge der verstorbenen Mitmenschen nicht mit dem Leichenwagen durch das Dorf zur Kirche und zum Kirchhof gefahren, sondern vielmehr auf den Schultern den letzten Weg getragen wurden. Hierbei müssen wir uns vorstellen, dass in jedem Kirchspiel mehrere Totenbahren vorhanden waren, hölzerne Gerüste mit Füßen und Tragegriffen, auf denen man die Särge platzierte. Diese wurden dann von den trägern mit der Bahre hochgehoben und auf den schultern weggetragen. Aus vergleichbaren Quellen weiß man aber auch, dass es im Münsterland allgemein üblich war, bei den weiten Wegen aus den Bauernschaften Leiterwagen für die letzte Fahrt zu benutzen, wohingegen dann erst am Dorfrand – oft an einer bestimmten Heiligenstation – die Bruderschaften Leichenzug erwarteten. Da die Bruderschaften – auch die Nottulner Antoni – Bruderschaft – nachbarschaftsübergreifend organisiert war, entfielen hier die Rechte und Pflichten der Notnachbarn. Die Nottulner Vorschriften von 1753 – immer Spiegel auch des älteren Brauchtums – legen ganz klar den jüngsten Brüdern die Tragepflicht auf, wobei wohl nach dem Eintrittsalter gerechnet worden ist. Dieser Ehrendienste der Antoni – Brüder ist ausführlich noch einmal im vorigen Jahrhundert beschrieben worden. Der 1838 neu formierte Vorstand fasste folgenden Beschluss:

„Jedes Mitglied der Bruderschaft muss, wenn die Reihe an ihm ist, die Gestorbenen aus der Bruderschaft zur Gruft tragen. – Dem Schäffer ist deshalb eine Liste der Pflichtigen zu geben, wobei demselben aufzutragen, mit dem Bestellen nicht aus der Reihenfolge zu treten. Hierüber wäre eine Bekanntmachung zu verlesen. Sollte aber demnächst ein bestelltes Mitglied zum Tragen ausbleiben, so hat der Schäffer auf dessen Kosten einen Träger zu nehmen. Will der Ausgebliebene die Kosten nicht erstatten, so hört er ebenfalls (…) auf, Mitglied der Gesellschaft zu sein:“ Dieser Beschluss war wohl eine Reaktion auf eine Bericht aus dem Vorjahre 1837, nach dem sich „junge Leute“ geweigert hatten, der alten Tragepflicht Folge zu leisten. 


Bahrtuch, Torsten, Totenschilder und Tumba

In einer Beilage zum Beschluss der Statuten vom 26. Juni 1753 ist uns ein Inventar der Bruderschaft überliefert, das u. a. folgende Gegenstände zum Totenbrauchtum benennt:

„(…)
3. Zwei Todtenbahren
4. eine Kiste in der Kirche, worin aufbewahrt werden müssen:
a) Zwei schwarze Todtenlaken
b) Ein weißes Kreuz von Seide
c) Sechs schwarze Schilder
d) Fünf Repe für Einsenken der Leichen und Stangen – Aufziehen 
e) Zwei dünne Repe für die Stange
f) Vier Torssenstöcke
g) Sechs Torssen oder Fackelstöcke
h) Zwei Schäfferstöcke
i) Eine kleine Tragbahre für das Bildnis des h. Anton“

Ein sehr ähnliches Inventar aus dem Jahre 1847 benennt u. a. noch folgende Dinge:

„(…)
3. eine schwarze Todtenfahne
4. zwei Prozessions Torsten
5. zwei Trauer Torsten
(…)
7. ein neues Sarg oder Bahr Tuch
8. ein altes Sarg oder Bahr Tuch
9. eine große Todtenbahre
10. eine kleine Todtenbahre
(…)
16. ein Schrank zum Aufbewahren der Todtenfahne
(…)
18. eine Kiste mit Schiebdeckel zur Aufbewahrung des Bahrtuches“

Diese Listen erhellen uns schlagartig, dass auch in Nottuln das reiche Totenbrauchtum des Barock noch lange seinen Platz hatte. Eine besondere rolle nimmt dabei das Bahrtuch ein, ein großes, meist schwarzes Gewebe, das während der Begräbnisfeier über den Sarg gehängt wurde, ihn verhüllte und an allen Seiten sehr tief – vor allem beim Tragen – herunterhing. Dieses „Totenlaken“ war meist aus widerstandfähigem Stoff hergestellt, sehr teuer und oft besonders verziert. Auch ist überliefert, dass auf das Bahrtuch silberne Schilde aufgenäht gewesen seien, was auch für Nottuln möglich ist, sieht man sich den alten Silberschatz einmal an. Das Bahrtuch verhüllte und „uniformierte“ den zumeist aus rohem Holz gearbeiteten Sarg und dokumentierte für das ganze Dorf die Gemeinschaft des Toten in der Bruderschaft. Aber auch der übrige Aufzug wird noch optisch verstärkt, denn zumindest für das 19l. Jahrhundert ist eine eigen „Todtenfahne“ bekannt, die dem Trauerzug vorhergetragen wird. Dass die Bruderschaft eine eigene Bahre für die Erwachsenen und die Kinder benutzt, zeigt ihr Streben nach Unabhängigkeit auch auf diesem Sektor.

Noch heute sind in Nottuln im Besitz der Bruderschaft mindestens zwei sehr schöne Torssen – Stöcke erhalten. Die Torsse oder Torste ist ein sehr typisch westfälische Entwicklung: auf eine meist kunstvoll gedrechselte Holzstande wird die besonders gezogene Wachskerze befestigt, so dass der optische Eindruck eines extrem langen und besonders schönen Lichtes entsteht. 

Die in der Pfarrkirche St. Marinus bis auf den heutigen Tag verwahrten Torsten werden zu den Prozessionen und am Antoniustag hervorgeholt. Zwischen Fronleichnam und der Hagelprozession stehen sie meist in der Kirche für jedermann sichtbar aus. Diese Stücke dürfen wegen ihrer bunten Textilmanschetten eher für die Festtage gedacht gewesen sein, die 1847 erwähnten Trauer – Torsten hatten vielleicht schwarzen Stoffschmuck. Auffallend ist, dass in beiden Registern, sowohl 1753 als auch 1847 nur eine geringe Zahl der Fackelstöcke genannt wird. Traditionell hatte eigentlich jedes Mitglied einer Bruderschaft eine Torste zur Verfügung. Möglicherweise wurden diese Lichtstangen jedoch im Privatbesitz gehalten und jeweils wieder mit nach Hause genommen, so dass der Bestand in der Kirche nur für den Vorstand bestimmt gewesen ist. 

Seidenkreuz und Schilder nach der Auflistung 1753 ergeben nur einen Sinn, wenn man die Bemerkung sieht, dass die Leiche „zur Kirche“ getragen wurde. Tatsächlich wurde in aller Regel während des Requiems der Sarg auf dem Chore vor dem Altar aufgestellt. Hierzu bediente man sich der Totenbahre, wobei rechts und links des Sarges Totenschilder mit allegorischen Gestaltungen und Heiligenfiguren aufgestellt wurden. Erhaltene Totenschilder der Antonius – Erzbruderschaft in Münster nehmen z. B. direkt auf den Patron Bezug und zeigen Bilder aus seinem Leben. Diverse Leuchter oder Torsten rundeten das Bild wieder ab. Nachdem auch im Münsterland der Brauch, eine Leiche in die Kirche zu tragen, weitgehend wohl unter dem Einfluss des preußischen Gesundheitspolizei des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurde, kam die Tumba verstärkt in Gebrauch. Bei dieser Einrichtung – im Volksmund mancherorts auch „Lügensarg“ genannt – handelte es sich um ein Holzgestell, das man mit einem Totenlaken verzierte, so dass der Eindruck eines Sarges bzw. eines sargunterbaus entstand. Dieses Gestell wurde wie früher der Sarg selbst auf dem Chor platziert und mit Leuchtern und übrigen Accessoires umstellt. Die Tumba ist in Nottuln noch vor etwa 25 Jahren gebraucht worden und erst durch die ligurischen Neuerungen verschwunden. Sie wurde nur auf Wunsch der betroffenen Familie gegen eine recht hohe Gebühr aufgestellt, wobei man auch bei der Gestaltung Rücksicht nahm. So wurden z. B: beim Gottesdienst für einen getöteten Soldaten militärische Symbole auf die Tumba gelegt. Da aber der Brauch recht teuer war, begnügten sich die einfacheren Leute mit der Platzierung eines Totenschildes und mehrerer Kerzenleuchter auf der Kommunionbank von St. Martin. Das zähe Festhalten an diesem Brauchtum bis in die jüngste Zeit macht aber deutlich, wie nahe auch unsere angeblich so moderne Zeit doch den alten Vorstellungen noch ist. 

Jedenfalls muss ein Begräbnis aus der Bruderschaft auf die Bevölkerung des Dorfes und Kirchspiels Nottuln einen großen Eindruck gemacht haben. Hierbei muss bedacht werden, dass noch lange nicht jede Familie in der Antoni – Bruderschaft vertreten war. Wie sich die Exklusivität nach dem gemeinsamen Erleben der Pestzeiten herausentwickeln konnte, ist nicht ganz klar, klar ist aber die Trennungslinie zwischen der Bruderschaft und dem „gemeinen Volk“, das man bei den Aufzügen z. B: „abwehren“ muss. 

In der Konsequenz bedeutete das ein gewisses Interesse, zwecks Erhöhung des Ansehens der Familie eine Beerdigung durch die Bruderschaft zu erhalten. Darauf gingen die Antoni – Brüder 1753 sogar ganz offen ein, beschlossen sie doch im 
18. Punkt ihrer Statuten wie folgt:

„Falls es sich zutrüge, dass Einer, welcher nicht in der Bruderschaft einverleibt wäre, stürbe, und nun dessen Erben, Kinder oder Verwandten die Gilde zur Beleitung und zum Tragen zu Grabe (so die Brüder allzeith tun müssen) begehren würden: sollen sie zur Unterhaltung der Todtenlaken, Fackeln und Schilder, zur Verbesserung der Gilde einen Rthlr geben, welchen der Gildemeister zu berechnen hat; dann den Brüdern, welche begleiten, eine halbe Tonne Bier; eben so den Trägern, den Fahnenträgern und Läutern eine halbe Tonne. Dagegen sind die Einverleibten auf Aufbiethung schuldig zu folgen, und das Werk der Barmherzigkeit auszuüben. Bei Einverleibten müssen sie dies, wie hergebracht, umsonst thun.“ Mit dieser Bestimmung wurde wieder die Exklusivität der Bruderschaft unterstrichen, ihr strenger, interner Zwang, aber auch ihre Bestrebungen, das übliche Leichenbier zu erhalten. Kein Zweifel, dass mit der Tonne Bier (ca. 135 Liter) für das Gefolge, Träger, Offiziere und Läuter ein Mindestmaß gesetzt wurde, welches bei einverleibten Bruderschaftsmitgliedern wohl nicht unterschritten wurde. Die Festsetzung, dass man die folge „umsonst thun“ müsse, kann sich nämlich nur auf die geldlichen Leistungen zu Gunsten der Bruderschaftorganisation selbst beziehen. 

Was nun von diesem alten Totenbrauchtum der Antoni – Bruderschaft heute noch erhalten? Wohl schon im 19. Jahrhundert änderte sich langsam das Bild unter dem Einfluss auch städtischer Gewohnheiten. Die Einführung des Leichenwagens kurz vor dem 1. Weltkrieg im Jahre 1914 veränderte die Tragepflicht. Mündliche Tradition berichtet, dass sich Nottulner Familien gegen die Neuerung des Leichenwesens ausgesprochen haben und auf der althergebrachten Tradition bestehen wollten. 1903 wird zum letzten Male die der Bruderschaft zugehörende Totenbahre erwähnt, man will sie in einem Seitengebäude der Amtsverwaltung unterstellen. Aber schon damals hatten die Antoni – Brüder sehen müssen, dass sich vieles geändert hatte. Die Sodalität, eine christliche Vereinigung von Männern, trug ihre Toten selbst zu Graben, was auch der 1876 gegründete Kriegerverein tat. Da zudem die Dorfbevölkerung weiter anstieg und auch längst nicht alle Familien der Bruderschaft verbunden waren, nahm die Bedeutung der Antoni – Brüder für das christliche und kirchliche Brauchtum rapide ab. Verstärkt rückte nun die Rolle als Schützengesellschaft wieder in den Vordergrund, während die Notnachbarn ganz allgemein die letzten Dienste für die Verstorbenen in der Gemeinde übernahmen. Vom alten Totenbrauchtum selbst ist neben den Gottesdiensten am Schützenfesttage heute nur noch das Geleit erhalten geblieben. Wird die Bruderschaft durch Kanzelabkündigung oder ihren Direktor aufgeboten, treten stets zwei Offiziere mit schwarzen Rangabzeichen an, die die Bruderschaftsfahne mit dem Trauerflor führen. Diese gehen zumeist dem Sarge des verstorbenen Bruderschaftsmitgliedes voran, und es ist stets interessant zu sehen, dass sich bis auf den heutigen Tag sehr viele Trauergäste bewusst das Fahne anschließen und damit unbewusst den letzten Rest bruderschaftlichen Totenbrauchtums im Dorfe Nottuln dokumentieren. 
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